Motto: Vertreibt die Armut- nicht die Armen!
Seit 1993 setzt sich dieser Zusammenschluss von über 70 kirchlichen und sozialen Initiativen der Obdachlosenhilfe in Berlin für die Bürgerrechte von Menschen ohne Wohnung ein.
Die AG „Leben mit Obdachlosen" engagiert sich beispielsweise:
* gegen die soziale Ausgrenzung von Obdachlosen und ihre Vertreibung von öffentlichen Plätzen und Bahnhöfen
* für den Erhalt niedrigschwelliger Hilfeeinrichtungen (anonyme und kostenlose Hilfe).
Pandemiebedingt sind zurzeit keine Treffen in der Heilig-Kreuz-Kirche möglich! Die Treffen der AG finden normalerweise am 2. Mittwoch im Monat 9-11 Uhr in der Heilig-Kreuz-Kirche, Zossener Straße 65, 10961 Berlin statt.
Kontakt : Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Adresse:
AG Leben mit Obdachlosen
c/o Ev. Kirchengemeinde Heilig Kreuz-Passion
Zossener Str. 65
10961 Berlin
HINTERGRUND-INFORMATIONEN: 2019 haben etwa 52 000 Menschen in Deutschland keinen festen Wohnsitz und schlafen auf Bänken, Dachböden, in Ladeneingängen und und unter Brücken. Sie machen „Platte“ und gelten als obdachlos. Weitere 860.000 Frauen und Männer leben in Wohnheimen und Notunterkünften (Stand: 2016). Wie hoch die Zahl in Berlin und Brandenburg ist, ist unklar, da es in beiden Bundesländern keine belastbare Statistik darüber gibt. Der Anteil der wohnungslosen Frauen steigt und beträgt geschätzt 27 %. Der Anteil obdachloser EU Ausländer osteuropäischer Staaten ist den letzten Jahren deutlich gestiegen. Obdachlose und Wohnungslose leben verstärkt in den Innenstadtbezirken der großen Städte.
Was sind die Ursachen von Obdachlosigkeit?
Obdachlosigkeit lässt sich durch Bereitstellung von Wohnraum allein nicht beheben. Denn die Ursachen stehen oft am Ende einer Kette, die mit einer Lebenskrise, wie einer Scheidung oder einem Todesfall beginnt. Arbeitslosigkeit , Schulden, manchmal eine Sucht verstärken die Krise. Die Überforderungssituation führt mitunter zum völligen Kontaktabbruch mit Behörden und Beratungseinrichtungen. Es ist dann bei einer bevorstehenden Zwangsräumung leichter, völlig auszusteigen und das harte Leben auf der Straße zu wählen, statt die vielen Einzelforderungen anzugehen. So sind viele Betroffene nicht nur obdachlos, sondern auch mittellos und nicht krankenversichert.
Menschen, die freiwillig auf der Straße leben, sind die absolute Ausnahme.
Auf der Straße entstehen Subkulturen (Punks, Leben mit Hunden ...) die Zusammengehörigkeit stiften. Die meisten Obdachlosen sind jedoch Einzelgänger.
Was unternehmen Kirche und Diakonie um Menschen auf der Straße zu unterstützen?
Zahlreiche gemeindlich diakonischen Initiativen helfen im Winter unbürokratisch und akut im Rahmen der Kältehilfe in Notunterkünften, Nachtcafés. Die 450 Betten in Berlin reichten auch auch im vergangen Winter nicht aus.Tageseinrichtungen und Suppenküchen dienen als Treffpunkte.
Das „Arztmobil“ und Obdachlosenambulanzen in der Nähe von Bahnhöfen gewährleisten eine medizinische Notversorgung. Jedoch fehlt eine Krankenstation zum Auskurieren von Krankheiten.
Darüber hinaus finanziert der Senat viele Einrichtungen, die im Rahmen von Integration und Suchthilfe Männern und Frauen aus der Obdachlosigkeit heraus in ein geregeltes Leben helfen.
Die Diakonie und ihre Fachverbände drängen immer wieder die Politik auch die Ursachen der Obdachlosigkeit zu bekämpfen.
Soll man bettelnde Obdachlose mit Geld unterstützen?
Die meisten Menschen kommen mit Obdachlosen an zentralen Plätzen und in der U- und S- Bahn in Kontakt, wenn sie betteln. Da stellt sich unweigerlich die Frage, ob das erbetene Geld weiterhilft. Darauf gibt es keine klare Antwort, allein schon deshalb, weil die Lebenslage jedes Einzelnen ganz verschieden ist.
Einige Aspekte zur Entscheidungsfindung:
Vielen Obdachlosen gemeinsam ist, dass sie - da sie weder Arbeit noch Grundsicherung haben - jeden Tag irgendwie an ihren Lebensunterhalt und mitunter auch ihren Bedarf an Suchtmitteln decken müssen.
Auf dem hart umkämpften Markt des Pfandflaschensammelns, Musikmachens und Zeitungsverkaufs verdienen auch Obdachlose etwas Geld. Mit Glück haben sie in dem Kiez, in dem sie leben, Unterstützer, die ihnen mit regelmäßigen Gaben weiterhelfen. Auch die Suppenküchen sind Anlaufpunkte. Dennoch ist jeder Obdachlose in der Regel täglich auf Gaben angewiesen.
Organisiertes Betteln schafft den Bittenden eine Überlebensmöglichkeit und gleichzeitig ihren Hintermännern satte Gewinne. Babys und Kleinkinder werden zur Verdienststeigerung ausgenutzt.
Ihre Gabe kann also ein sinnvolles Lebensmittel sein und gleichzeitig schädlich wirken.
Es ist sicherlich sinnvolller, Einzelnen, die im eigenen Wohnumfeld leben, regelmäßig etwas zu geben und so Stück für Stück Beziehungen aufzubauen, als wahllos etwas zu geben. Eine Alternative ist auch, mit ihrer Spende Obdachlosenprojekte zu unterstützen.
Heil und Erbarmen
In der Bibel wird uns die Nähe Jesu mit den Armen am Rande der Gesellschaft in verschiedener Weise nahegebracht. Zum Einen vollzieht sich die Heilsgeschichte unter den Armen und durch sie. So kommt beispielsweise nach Lukas (LK 2) Jesus in einer Futterkrippe zur Welt „denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge“. Ausgerechnet den Hirten, das waren vermutlich Halbnomaden, deren Zeugnis vor Gericht nichts galt, offenbaren sich die Himmlischen Heerscharen. Diese, unter den Sesshaften unglaubwürdigen Gesellen, bekommen den Auftrag, aller Welt die Geburt Jesu als das Kommen des Heilands zu deuten. Zum Anderen sagt Jesus von sich, dass der Menschensohn keine Ort habe, wo er sein Haupt bette. Während seines Wirkens, berührt die Not der Menschen auf der Straße Jesu Herz immer wieder aufs Neue und es „dauert“ ihn (Mk 10, 46-52). Wir werden vor Herzenhärtigkeit gewarnt. Schließlich wird Gottesdienst und der Dienst an den Schwächsten zusammen gesehen „Was ihr einem meiner geringsten Brüder (und Schwestern) getan habt, das habt ihr mir getan (Mt 25).
Ansehen und Abwertung
Bettelei hatte in der Geschichte ein sehr unterschiedliches Ansehen. Im Mittelalter hatten Obdachlose, die von der Hand in den Mund lebten, ein höheres Ansehen als heute: war ihr Lebensstil doch zwangsläufig mehr auf Gottes Erbarmen und die Almosen der Reichen angewiesen. Das Almosengeben diente der Gottgefälligkeit. Die Empfangenden sollten für das Heil der Geber beten. Luther lehnte dies unter dem Gesichtspunkt der Werkgerechtigkeit ab und sah Arbeit und die Werke der Barmherzigkeit allein als Antwort auf die freie Gnade Gottes. Mit dem Merkantilismus und der Industrialisierung begründete sich eine Moral, die Menschenwürde mehr mit Leistung verband.
Wanderarbeitsstätten wurden gegründet. In manchen Gegenden wurde Landstreicherei unter Strafe gestellt. Im Faschismus galten Obdachlose als Asoziale und als Parasiten am Volkskörper.
Mit der Geltung der Unantastbarkeit der Menschenwürde in Artikel 1 des Grundgesetzes kann kein Mensch diese verlieren, wohl aber unter menschenunwürdigen Bedingungen leben. Allerdings gibt es im Lebensalltag strukturelle Diskriminierungen von Obdachlosen, die aussichtslose Lebenslagen verstärken: Ohne Wohnung keine Arbeit, ohne Arbeit keine Wohnung. Auch ist neuerdings soziologisch eine zunehmende Abwertung der Gruppe der Obdachlosen festgestellt worden, die vermutlich mit der Ökonomisierung aller Gesellschaftsbereiche zu tun hat. Menschen werden dann wieder vornehmlich nach dem Kriterium ihrer Nützlichkeit und nicht in ihrer Würde betrachtet.
Peter Storck
Lit.: Die Spinne auf der Haut; Joachim Ritzkowsky ; ISBN-10:3-88425-071-X